Mein Dschungelbuch - 230km durch den peruanischen Amazonas!
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- Zuletzt aktualisiert am Montag, 31. August 2015 07:42
- Geschrieben von Karl- Heinz Riegl
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Karl- Heinz Riegl wieder extrem unterwegs
Eine Geschichte, die ein Leben verändern kann
Nach der Absage des „Jordan Races“ in der Sahara, wurde ich durch einen Laufkameraden auf den „Jungle Ultra“ in Peru aufmerksam gemacht. Nach rascher Überlegung ging es zur Web Seite und ich meldete mich kurzerhand an. Wofür eigentlich? Für einen 230km langen Ultramarathon, der über die Anden und durch den Amazonas-Urwald führt, wobei die Ausrüstung, die Verpflegung und die Hängematte, kurz gesagt, die ganzen notwendigen Sachen für eine Woche, im Rucksack mitgetragen werden müssen. Nur Wasser wird in begrenzter Menge vom Veranstalter bereitgestellt.
Die eigene Sauna wurde mit einem Laufband ausgestattet und mit Sprühdüsen für die Luftfeuchtigkeit versehen. Nach fünfmonatiger Vorbereitung, mit bis zu fünf Stunden langen Saunaläufen bei 38 Grad und 80% Luftfeuchtigkeit und einer Kilometerleistung von bis zu 220km pro Woche wurde der unbändige Drang, endlich zum Rennen zu kommen, immer unerträglicher. Die Anreise von Wien über Madrid nach Lima und dann nach Cousco verlief problemlos. Alleine die Seehöhe von über 3000m machte mir am Anfang zu schaffen. Daher hatte ich auch die Anreise um 4 Tage früher anberaumt. Nach der Akklimatisation, einer kurzen, wenn auch widerwilligen Besichtigung der Stadt, war Ruhe und Anpassung an der Tagesordnung. Ein paar kurze Dauerläufe rundeten das Tagesprogramm ab.
Scheibchenweise trafen die Teilnehmer für diesen Wahnsinnstrail im Hotel ein. Bis dann plötzlich, nach einem kurzen Kennenlernen, die 6-Stunden Anfahrt über einen 3600m hohen Pass im Geländewagen im Gange war. Wir verlegten in den Mani Nationalpark um dort auf 3300m Seehöhe unser erstes Camp aufzuschlagen. Da hatten wir noch Zelte! Nach einer kalten Nacht, der Einweisung des Veranstalters und jeder Menge Sicherheitstipps: “This Jungle is a Battlefield“, wurden wir in den Startraum entlassen. Nach einer rührigen Ansprache mit lokaler Musikkapelle erfolgte der Start zur ersten Etappe, genannt „the Cloud“. 38km von den Anden in den Dschungel, das war die Vorgabe.
Am Anfang versuchte ich mich nicht mitreißen zu lassen und achtetet nur auf das Gelände und meinen Puls. Nach einem Fünfmetersturz über den Abhang - der Weg war weggebrochen - konnte ich nur mit Mühe die markierte Strecke wieder erreichen. Jetzt versuchte ich mir meine Kräfte einzuteilen und einmal die Entwicklung der Situation abzuwarten. Nach traumhaften Trails, Flussüberquerungen und Abhängen, erreichte ich nach 03:57 Std, völlig überrascht das Ziel an dritter Stelle. Nachdem mein Trainingsplan aufzugehen schien, änderte ich sofort die Lauftaktik für die nächsten Tage. Nach einer unruhigen Nacht in der Hängematte, fieberte ich der nächsten Etappe, „Amazonia“ – 30km durch den Amazonaswald, entgegen. Meine guten Vorbereitungen ermöglichten mir ein offensives Tempo, um die Führenden angreifen zu können. Durch knietiefen Schlamm, über Wurzelwerk und durch Flüsse ging es dem Ziel entgegen. Ein völlig abgeschiedenes Camp, mitten im Nirgendwo, war unser Zuhause für die nächste Nacht. Nach der Information über den 2. Gesamtrang durch mein Freund Peter - er war als „Volontär“ bei der Veranstaltung dabei - merkte ich, dass meine Stunde noch kommen könnte?! Tagwache um 04:00 – Frühstück – Ausrüstung kontrollieren – Vorbereitung für den Tag, eine 36km Etappe, genannt „the Logging“, standen am Plan.
Ich versuchte von Anfang an auf das Tempo zu drücken, um meinen Widersacher Toni in einen Fehler zu drängen. Seine 43 Minuten Vorsprung vom ersten Tag waren eine ordentliche Vorgabe. Nach einigen Ausreißversuchen von mir, konnte er mich immer wieder bei den durch den Veranstalter durchgeführten Flussquerungen, mit Seilwinde oder Schlauchboot, einholen. Dadurch konnte ich leider seinen Rhythmus nicht brechen und er brauchte „nur“ hinter mir herzulaufen Der stellenweise tiefe Schlamm, das knietiefe Wasser und jede Menge rutschiger Trails – bei 35 Grad und bis zu 100% Luftfeuchtigkeit, machten dieses Vorhaben nicht unbedingt einfacher. Trotz Platz eins am 3. Tag konnte ich meinen Rückstand nur geringfügig reduzieren. Toni blieb mir auf den Fersen.
Im romantischen Camp angekommen, trafen so nach und nach die restlichen Teilnehmer ein. Die ersten Ausfälle und Verschleißerscheinungen (Blasen, Zerrungen) machten sich bei der Konkurrenz bemerkbar. Doch nun stand „the Lull“ am Programm. Sie sollte mit ihren 36km zu der härtesten Etappe dieses Wettkampfes werden. Kilometerlang in Flussläufen laufen, mit bemoosten Steinen, so groß wie Melonen, machte die Angelegenheit sehr gefährlich. Doch um bei der Spitze bleiben zu können, musste ich riskieren. Die dort lebenden Gefahren an Wildtieren oder Pflanzen musste ich aus meinem Bewusstsein ausblenden. Immer nur die Pulsuhr, die immer spärlicher werdenden Streckenmarkierungen und vor allem die nächsten 4 Meter und wieder die nächsten 4 Meter im Blick behaltend, konnte ich die Spitze übernehmen. Bei einer Flussquerung mit dem Boot passierte es dann: als ich gerade in der Mitte des Flusses ankam, durchbrach Toni die Uferböschung. Der peruanische Lenker des Bootes ließ sich nicht davon abbringen, umzukehren und auch Toni mit mir gemeinsam auf die andere Seite zu bringen – shit happens! Nachdem auch dieser Versuch von mir gescheitert war, versuchten wir nun beide mittels gemeinsamer Hilfe, die Reststrecke zu bewältigen. Da war ein gewaltiger Anstieg, in dem Seile verspannt waren um überhaupt hinaufkommen zu können. Nachdem wir beim Checkpoint noch zusätzlich über eine falsche Streckenlänge bis ins Ziel informiert wurden, ging mir auch recht bald das Wasser aus. Nicht unbedingt angenehm in dieser Umgebung. Doch Toni und ich arrangierten uns, gemeinsam ins Ziel zu laufen. Nach 06:12 Std (für 36km!) überliefen wir auch tatsächlich Hand in Hand die Ziellinie. Jetzt blieb mir nur noch der letzte Tag, bzw. 93km, um die „Sache umzudrehen“. Zum Drittplatzierten hatten wir schon einen komfortablen Polster herausgelaufen. Diverse Tragödien an zerstörten Füßen, Sprunggelenken oder nur nicht mehr vorhandenem Durchhaltewillen trafen im letzten Camp auf uns.
Der allnächtliche sintflutartige Regen, nach dem man fast die Uhr stellen konnte, machte das Lagerleben zu einem Überlebenscamp der besonderen Art. Trockene Bekleidung gab es schon seit Anfang des Rennens nicht mehr. Was soll´s? - die Nahrung war restlos aufgebraucht, die Peeroton-Gels neigten sich dem Ende zu und der Rucksack wurde immer leichter. Mit meinen, für dieses Terrain hervorragend geeigneten, Asics Laufschuhen und top motiviert verbrachte ich die letzte Nacht. Durch die Anstrengungen der letzten Tage passierte etwas, was normalerweise nicht passieren dürfte: ich verschlief um fast eine Stunde!! Nun erst Aufstehen um 04:10 und Start um 05:00 war die geringe Zeitspanne, die ich zur Verfügung hatte. Kein Frühstück und das kurz vor einem 93er, Katzenwäsche, verstauen der Ausrüstung, eilig ein paar Peeroton-Riegel hinuntergewürgt, die Elektrolyte aufgefüllt! Und das alles bei strömendem Regen und unter absolutem Zeitdruck – das war die Situation vor dem alles entscheidenden Start zu den letzten 93km. Die Etappe hieß „the long one“! Da es noch dunkel war und wegen eines kurzfristig anberaumten Sicherheitsbriefings verzögerte sich der Start um 10min. Zeit genug, um hastig eine rasch zubereitete, heiße Suppe zu essen … und los ging es! Mit Stirnlampe einen langgezogenen Bergweg hinauf, vorbei an bewohnten Hütten, wo deren Einwohner auf der Straße standen und uns anfeuerten, um 05:15 morgens!!!! Toni war hinter mir aus meinem Blickfeld entschwunden, ich schöpfte Hoffnung auf einen möglichen Sieg. Doch zu früh gefreut, denn nach einer Dorfdurchquerung, wo anschließend die Strecke mit kleinen peruanischen Fahnen markiert wurde, standen plötzlich unzählige Kinder mit kleinen Fähnchen – unseren Fähnchen - winkend am Streckenrand. Als ich das Verfehlen der Strecke bemerkte, waren schon ca. 10km „durch“. Ich bemühte mich so gut es ging, bei der einheimischen Bevölkerung um Hilfe. Als ich entsprechend glaubhafte Informationen erhalten hatte, war plötzlich Toni auch wieder an meiner Ferse. Er hatte sich ebenfalls, wie so viele nach ihm, verlaufen. So beschlossen wir, gemeinsam den nächsten Checkpoint zu suchen und danach unseren Kampf wieder weiterzuführen. Was auch kurz nach Checkpoint 2 geschah. Abermals löste ich mich von ihm und mobilisierte meine letzten Kraftreserven, die zu diesem Zeitpunkt scheinbar unerschöpflich schienen. Die Hoffnung keimte, doch bei Kilometer 52 wurde das Rennen, wegen der prekären Sicherheitslage aufgrund der sintflutartigen Regenfälle, gestoppt. Nach Zusammenführung eines Großteils der Teilnehmer, wurden diese nach ca. 45min wieder auf eine in der Zwischenzeit neu markierte, verkürzte Route geschickt. Einem kurzen Aufbäumen meinerseits folgte nach ca. 10km der Gedanke, den 2. Platz „heimzuholen“ um nicht vielleicht doch noch am Ende auszufallen. In dieser kritischen Entscheidungsphase kam Toni wieder in Sichtweite. Wir absolvierten die letzten 22km in einem komfortablen Dauerlauf, um dann gemeinsam, nach 12:39 Std in die Zielstadt einzulaufen. Ein kurzer Sprint verschaffte mir die Genugtuung, auch diese Tagesetappe gewonnen zu haben. Toni und ich fielen einander überglücklich in die Arme und wir genossen den plötzlich einsetzenden warmen Regen!
Jetzt zählte nur noch essen, trinken, essen, essen und irgendwann schlafen …
Im Flugzeug nach Hause träumte ich von Mogli, Kaa, Balu und meinem Dschungelbuch!
http://www.beyondtheultimate.co.uk/jungle-ultra.asp